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- Adresse: Mrs. Dora Newman, 322 Reconquista II, Buenos-Ayres, Argentien
Abschrift
Viele Grüße und beste Wünsche
für ein fröhliches Weihnachten
und ein glückliches Neues Jahr.
Berlin, d. 27.11.09 Victor
Gedanken zur Karte
Die Postkarte zeigt das Motiv "La Cruche Cassée" (1771, Musée du Louvre, Paris). Hierbei handelt es sich um eines der berühmtesten Werke des französischen Malers Jean-Baptiste Greuze (1725 - 1805), der für seine moralisierenden Bilder bekannt war. Das Bild zeigt ein Mädchen mit kindlichen Zügen und großen Augen, aber dem Körper einer Frau. An ihrem Arm trägt sie einen zerbrochen Krug, Sinnbild für ihre verlorene Unschuld. Sie war wohl auf dem Weg zum Brunnen, um Wasser zu holen, doch wurde unterwegs überrascht, wie uns ihr derangiertes Kleid (weiß, Farbe der Unschuld und Reinheit), die halb entblößte Brust und die geröteten Wangen verraten. Sie rafft ihre Röcke über dem Schoss und trägt darin rosa Rosen. Eine weitere Rose steckt in ihrem Ausschnitt, als habe sie ein Anderer dorthin gesteckt. Ihre Augen blicken traurig und auf ihren Lippen liegt ein beinah wissendes Lächeln Sie wirkt desillusioniert und der Betrachter spürt instinktiv, dass ihre romantischen Erwartungen an die Liebe gerate bitter enttäuscht wurden. Der Brunnen im Hintergrund ist geschmückt mit einem Widderkopf, der den Anschein erweckt, er wolle das Mädchen rammen und der Statue eines wasserspeienden Löwen mit menschlichen Gesichtszügen, seine Augen folgen dem Mädchen, er sieht ihr nach und spuckt seinen Wasserstrahl in ihre Richtung. Alles eine große Allegorie für einen Mann, der einem jungen Mädchen nachstellt, ihr die Unschuld nimmt, indem er "ihre Rose pflückt" und sie dann sich selbst überlässt.
An sich schon ein interessantes Motiv. Aber was mich bewegt ist die Frage: warum hat dieser Victor genau diese Postkarte ausgewählt, um sie Dora zu schreiben? Ist es nicht reichlich geschmacklos, einer Frau das Sinnbild der verlorenen Unschuld per Post zu schicken? Ist Victor derjenige, der Doras Unschuld genommen hat, oder glaubt er vielleicht nur, er wäre es? Auf jeden Fall ist es eine Anspielung auf ein Geheimnis, eine wie auch immer geartete Intimität, die die beiden verbindet, denn "nur ein Freund" würde sicher nicht solche Anzüglichkeiten verschicken. Wobei der Text wiederum ganz brav daher kommt, nur ein paar Weihnachts- und Neujahrswünsche, ganz unschuldig.
Genau deshalb finde ich die Karte so spannend, durch den Gegensatz von Motiv und Inhalt, diese Doppeldeutigkeit, die darin schwingt und die so typisch war für die damalige Zeit.
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